Die Kommunalpolitik schafft sich ab

Im Juli stürmten die „Klimaaktivisten" das Rathaus und verließen es wieder. Am Fischmarkt sind sie aber geblieben. (Foto: Augsburger-allgemeine.de/Michael Hochgemut
Im Juli stürmten die „Klimaaktivisten" das Rathaus und verließen es wieder. Am Fischmarkt sind sie aber geblieben. (Foto: Augsburger-allgemeine.de/Michael Hochgemut

Der rechtsfreie Raum

Es war im Juli 2020. Damals, als uns Corona schon ein kleines bisschen vor Augen geführt hatte, wo die wirklichen Probleme liegen, stürmte ein buntes Wölkchen sogenannter „Klimaaktivisten" das Augsburger Rathaus. Nach kurzer Verhandlung mit Verantwortlichen der Stadt  verließen sie es aber wieder, machten es sich dafür aber im „Klimacamp" – einer Mischung aus Brokdorf-Hüttendorf und Waldorf-Kindergarten – kuschelig. Und dort sind sie seither. Wenigen ein echtes Hassobjekt, einigen ein Dorn im Auge und den meisten einfach egal: Wir haben größere Probleme.

Wer jetzt an Corona denkt, hat nicht ganz unrecht, aber das weit größere Problem ist, dass neben dem Augsburger Rathaus ein rechtsfreier Raum entstanden ist. Und der wird von kuschenden Kommunalpolitikern widerstandslos geduldet. Werfen wir doch mal einen näheren Blick auf das Objekt des Anstoßes.

Begonnen hatte das Ganze als Demonstration. Die war von der Stadt natürlich zu dulden, denn das Recht zu demonstrieren ist ein hohes Verfassungsgut. Darüber gab es auch keine ernstzunehmende Diskussion. Abstrus wurde es jedoch mit der immer länger werdenden Laufzeit des Camps. Irgendwann hatte sich der Eindruck verfestigt, den sogenannten „Aktivisten“ gehe es mehr oder minder nur noch darum, an provokant exponierter Stelle eine Art Maxi-Infostand zu betreiben. Dazu kamen dann noch kleinere Provokationen wie das Blockieren von Parkplätzen durch Pflanzkübel, was bei strenger Auslegung des  § 315 b Absatz 1 Nr.2 StGB („Straßenverkehrsgefährdung“) eine Straftat darstellt. Unter anderem diese Narretei - nicht die einzige übrigens - brachte das Fass städtischerseits zum Überlaufen: Die Räumung des Camps wurde angeordnet. Aber nicht vollstreckt, da die „Aktivisten“ umgehend Klage erhoben und – erstinstanzlich obsiegten. 

Schon bei der Nicht-Räumung hatte sich die schwarz-grün geführte Stadtverwaltung politisch ein Bein stellen lassen: Um den Koalitionsfrieden zu wahren, wurden auch so kräftige Argumente wie die Frage, ob in Augsburg dann auch campierende Nazis zu dulden wären, wenn sie denn nur ein Plakat in die Luft halten, in den Wind geschlagen. 

Der zweite Sündenfall erfolgte in der Frage, ob gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt werden sollte. Immerhin ist jedem klar, dass man vor Gericht meistens nicht Recht bekommt, sondern nur ein Urteil, das durchaus auch vom persönlichen Befinden der Rechtsprechenden geprägt sein kann. Kontrolle schadet also nicht, wenn es um grundsätzliche Rechtsfragen geht – zum Beispiel darum, wann eine grundgesetzlich hinzunehmende Demonstration endet und politische Propaganda beginnt. Stadtrat und Verwaltungsspitze kuschten jedoch auch hier. Als „Sahnehäubchen" verlieh dann eine unabhängige (?) Jury den Protesten auch noch den Augsburger Zukunftspreis.

Und um der Sache noch ein unrühmliches Krönchen aufzusetzen, berät nun am Donnerstag, 17. Dezember, der Stadtrat über ein Konzept, in dem die „konzeptionellen Schritte in Sachen Klimaschutz“ beraten werden. Mit dem Bemühen, das „Klimacamp“ zu beenden, hat dies natürlich gar nichts zu tun, beeilte sich OB Eva Weber zu versichern. Die „Klimaaktivisten“ kündigten gleichzeitig mit fast schon bewunderungswürdigen Hybris an, sie wollten sich alsbald dazu äußern, ob ihnen die Maßnahmen genügen. Es überrascht nicht, dass es den Campern natürlich nicht reicht...

Dass auf das absurde Theater kein Aufschrei der Empörung über diese politische Nötigung erfolgte, ist ein Armutszeugnis: Die Kommunalpolitik schafft sich selbst ab, wenn sie, blockiert in Koalitionsrücksichten, die Richtlinienkompetenz denen überlässt, die am lautesten schreien oder am längsten im rechtsfreien Raum campieren.

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Kommentare: 1
  • #1

    Dieter Mitulla (Mittwoch, 16 Dezember 2020 15:23)

    Der Vollständigkeit halber eine Ergänzung: Zum Blogbeitrag „Der rechtsfreie Raum“ hat sich via Instagram aktuell auch OB Eva Weber geäußert. „Hallo Dieter, interessanter Blogbeitrag..... Nur die Lektüre der AZ reicht aber für die Gesamtbeurteilung nicht aus. Meine Meinung. Im übrigen haben wir Rechtsmittel gegen das Urteil in der ersten Instanz eingelegt.“
    Das trifft in der Tat zu und geschah auf dem Verwaltungswege, also ohne den Stadtrat damit zu befassen. „Den Antrag auf Zulassung der Berufung stellen wir, weil wir Grundsatzfragen des Versammlungsrechts berührt sehen und nicht, weil die Stadt das Thema Klima hintenanstellt, denn das Gegenteil ist der Fall. Die Versammlung auf dem Fischmarkt wird in der Stadtgesellschaft unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Als Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg möchte ich daher rechtlich klären lassen, ob unbefristetes Campieren auf öffentlichen Plätzen unter den durch das Grundgesetz geschützten Versammlungsbegriff fällt – auch, um mit eventuellen und zukünftigen Versammlungen anderer Interessensgruppen umgehen zu können, die eine ähnliche Form wählen möchten“, hatte Weber zur Begründung ausgeführt.