Alle Jahre wieder...

In Augsburg stehen die Haushaltsberatungen für 2023 bevor. Bisher spielt sich das Tauziehen noch in den Verwaltungsbüros ab – und in den Medien. (Foto: cottonbro/pexels.com)
In Augsburg stehen die Haushaltsberatungen für 2023 bevor. Bisher spielt sich das Tauziehen noch in den Verwaltungsbüros ab – und in den Medien. (Foto: cottonbro/pexels.com)

Das Lobby-MIMIMI

Lasst uns Heinrich Böll zitieren und einen Fünfer ins Phrasenschwein werfen. Nicht nur zur Weihnachtszeit okkupiert die Christkindlesmarktschnulze „Alle Jahre wieder“ des Autors Gehirnwindungen, sondern trotz Sommersonnenschein auch zum Ende der Ferien. Immer wieder. Jedes Jahr. So unvermeidbar wie der 1. Advent und das Vorweihnachtszeit-Sodbrennen von zu viel Bratwurst und Glühwein. Was diese Assoziation auslöst? Es ist die Abfolge von den „Wir-sind-so-gut-und-brauchen-Geld-Geschichten“ im Lokalteil meiner Lieblingszeitung, das Lobby-Mimimi.

Menschen, die den Zeitungs- bzw. Medienbetrieb nicht kennen, bringen nun meist den Begriff „Sommerloch“ ins Spiel: Wenn das deutsche Leben ferienbedingt am Meer oder in den Bergen, am Gardasee oder auf Rügen stattfindet, gibt es für die Medien nicht so viele Sachen zu berichten, die tatsächlich passieren. Also greift man in die Reportagekiste oder fragt das Volk beim „Interview im Straßengraben“ zu Petitessen der Alltäglichkeit oder stellt Nebenfiguren des Stadtgeschehens vor. Doch hat sich für Letztere eh noch nie jemand außer den Porträtierten selbst interessiert, hat mittlerweile gefühlt jeder zweite Augsburger schon mal seine Meinung zum Plärrer gesagt – und wie es bei der Müllabfuhr oder im Freibad zugeht, hat nun auch schon jeder Honk mal gelesen.

Außerdem: Die berühmte Saure-Gurken-Zeit, die früher Lokaljournalisten in den Feature-Wahnsinn trieb, gibt es schon längst nicht mehr. Augsburg strotzt – auch an den Hundstagen dieses Jahres – vor starken Themen. Allein die Preisexplosionen allüberall, die Gas- und Stromsparpläne wegen der Ukrainekrise, die Baustellen- und Umleitungsorgien, die aktuellen (Fehl-)Entwicklungen im Verkehrsbereich und vieles mehr böten Stoff für ganze Zeitungsbeilagen.

Natürlich wird auch darüber berichtet. Doch dazwischen schmuggeln sich die Storys über gaaaanz wichtige „Projekte“ (Merke: Es muss immer „Projekt“ heißen!) ins Blatt, in denen engagierte Sozialpädagogen und motivierte Therapeuten ob der ungesicherten Finanzierung und der in Frage stehenden Fortführung ihrer Institutionen barmen.

Warum ist das so, und warum gerade jetzt?

Die Antwort darauf ist simpel. Haushaltsberichterstattung – also Meinungen und Nachrichten über den städtischen Etat – sind ein ungeliebtes Thema. Zum einen erfordert es umfängliches Fachwissen. Zum anderen haftet ihm der Ruch des „Trockenen“, Langweiligen an. Zu viele Zahlen, zu wenig „Action“, zu wenig Buntes. Deshalb passiert Haushaltsberichterstattung meist nur dann, wenn gegen Jahresende der Etat fürs nächste Jahr beraten und beschlossen wird und alle die, die beim großen Verteilen des städtischen Geldsegens leer ausgegangen sind, zum kollektiven Jammern blasen.

Tatsächlich fallen aber die wichtigsten Entscheidungen schon weit vorher, im Sommer, wenn fleißige Bedienstete des Kämmereiamtes aus den dicken Stapeln der Anforderungen der einzelnen Ämter den Haushaltsentwurf zusammenstellen. Selbst bei bestem Willen ist darin kein Platz für alle Wünsche und Begehrlichkeiten. Und wer es via Verwaltung nicht in den Entwurf schafft, dem bleibt nur der politische Weg über Fraktionen, Finanzausschuss und Stadtrat – mit den bekannten parteipolitischen Unwägbarkeiten und den dann üblichen Kompromiss-Kuhhändeln.

Was also tut der vorausschauende Lobbyist? Er versucht, sein Angebot anzupreisen und herauszuheben aus der Masse der organisierten Wohltäter. Da kann ein bisschen Öffentlichkeitsarbeit nicht schaden, und so häufen sich in den Redaktionen immer gegen Ferienende die netten Mails und Anrufe, die alle nur eines zum Ziel haben: Berichterstattung. Möglichst umfangreich. Möglichst positiv. Möglichst mit Foto, mag es auch noch so dröge ausfallen. Was nicht drinstehen soll: Dass es auch noch andere, ähnlich gelagerte Angebote gibt, und dass man Geld von der Kommune möchte.

Besonders insistierend sind meist die Organisationen, die noch relativ neu auf dem Wohltätigkeitsmarkt sind. Denn die Gründung neuer Angebote läuft oft nach einem Schema ab, das erfahrende Kämmerer nun auch schon aus dem FF kennen. Zunächst wird ein Ziel beschrieben, dann Zuschussquellen und öffentliche Programme angezapft und schließlich ein städtischer Anteil eingefordert. Der kostet anfänglich nur ein paar Euro – es gibt ja noch die anderen Geldgeber. Doch die zahlen fast immer nur befristet, für ein, zwei Jahre zumeist. Danach muss das Angebot auf eigenen Füßen stehen, oder besser: Es sollte sich selbst tragen. Tut es aber in den meisten Fällen nicht. Dann sehen sich die Entscheidungsträger mit der Moralkeule konfrontiert: Wollen Sie, dass das wertvolle XYZ-Angebot vor die Hunde geht? Sollen Sozialpädagogin A. oder Diplompädagoge B. wieder auf der Straße stehen? Um den Druck fallweise zu erhöhen, wird dann auch gerne auf die tolle Berichterstattung in den Medien verwiesen – honi soit qui mal y pense. Sollte das alles nichts nützen und auch der politische Weg über den Finanzausschuss in einer Sackgasse münden, dann... möge der Shitstorm beginnen.

Sieht man sich diese Mechanismen an, so verwundert es nicht, dass der Einzelplan 4 (Soziale Sicherung) des Augsburger Etats in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich angewachsen ist. Knapp ein Drittel der städtischen Ausgaben-Milliarde fließt 2022 in den Sozialbereich – von 306,6 Millionen Euro in 2018 blähte sich dieser Sektor auf 351,4 Millionen im Jahr 2022 auf. Ausgaben und Zuschussbedarf  stiegen in ähnlichen Raten.

Damit einher geht eine Fülle meist kleinerer Aufgabenbereiche, die in die Regie der Stadt Augsburg übergegangen sind, wovon die zahlreichen „Büros für...“ und Stabsstellen zeugen, die das Kaleidoskop der Empfänger des warmen Regens aus der Zuschuss-Gießkanne koordinieren (sollen). 

Längst in Vergessenheit geraten ist angesichts dieser Entwicklung das (früher oft, wenn auch oft vergeblich) beschworene „Subsidiaritätsprinzip“. Der öffentliche Sektor wächst und wächst und wächst – ganz im Gegensatz zur Wirtschaft, deren Erträge den Sozialbereich eigentlich finanzieren sollten.

Fortsetzung folgt.

 

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