Fun um jeden Preis

Heute Abend haben sie Narrenfreiheit - und Anwohner der Radlnacht das Nachsehen.
Heute Abend haben sie Narrenfreiheit - und Anwohner der Radlnacht das Nachsehen.

Die Kampfradler sind wieder los

Ja, ich bin auch in allen drei Rollen unterwegs. Als Fußgänger: Ich laufe viel, und mit Enzo an der Leine schaffe ich mittlerweile mein ärztlich verordnetes Schrittsoll von 10.000 fast täglich. Als Radler: Ich habe ein Rad, ein ziemlich schönes noch dazu, und ich setze es ein, um kurze Wege ohne Hunde schnell zu bewältigen. Als Autofahrer: Während ich früher, beruflich bedingt, jeden Tag über 100 Kilometer heruntergerissen habe, bleibt das Auto jetzt oft tagelang unbenutzt in der Tiefgarage. Kurz: Ich kenne die verschiedenen Perspektiven der Verkehrsteilnehmer, und ich kann vieles verstehen, was die einzelnen Sparten nervt. Was mich aber generell nervt: Wenn eine Gruppe nur ihre eigene Sichtweise vertritt und ihre Egoismen zur Lebensphilosophie macht.

Womit wie beim Thema Radler wären. Der Radler an sich ist gut, umweltschützend, gesundheitsbewusst - kurz: der bessere Mensch. Das Radeln zu fördern ist (und Augsburg macht da mit) zur nicht in Frage zu stellenden Staatsdoktrin geworden. Radlstadt Augsburg. Toll. Und einmal im Jahr, heute, bilden Doktrin- und Spaßgesellschaft eine unheilige Allianz. Man nennt es Radlnacht.

Nun wäre überhaupt nichts dagegen einzuwenden träfe sich eine Anzahl X von Radlern, um gemeinsam die Stadt zu befahren. Könnte lustig sein, und ja: Wenn dafür für ein paar Stunden ein paar Straßen gesperrt werden müssen, dann soll man sie halt sperrren. Ist ja um Mitternacht wieder vorbei.

Man kann es aber auch anders sehen und sich fragen, wozu es den Zirkus der Kampfradler überhaupt braucht. Jedesmal durch den Theodor-Wiedemann-Tunnel? So schön ist es da nun wirklich nicht. Jedes Mal auf der Schleifenstraße? Ist doch nur 'ne Hauptverkehrsachse. Sollen doch die bösen Autos Umwege um die Stadt herumfahren. Pfeif' auf Umwelt und Feinstaubdiskussion. Wir sind die Guten!

Wirklich? Man stelle sich vor,  der - sagen wir mal - SUV-Club Datschiburg hätte eine ähnlich geniale Idee: "Möööönsch, im Wasserschutzgebiet Siebentischwald sind doch soooo schöne Wege, da könnten wir doch mal gemeinsam mit Benz und Mitsubishi so richtig durchbrettern! Das wäre doch fun, fun fun!" Und zack, los! Den Turbodiesel auf Höchstdrehzel geheizt, die Anlage bis zum Anschlag aufgedreht. Das wär's doch, oder?

Man kann sich unschwer vorstellen, welcher Shitstorm über die Organisatoren hereinbräche. Jeder Internet-Wutbürger könnte digital sein Mütchen kühlen. Augsburg würde es in die nationalen Schlagzeilen schaffen. Endlich mal.

Erstaunlicherweise bleibt der Shitstorm aus, wenn heute wieder ganze Viertel abgeschnitten werden, weil geradelt wird. Zum Beispiel das, in dem ich lebe. Das hat nämlich nur eine einzige Zufahrt: Von der Reichenberger Straße zweigt die Arthur-Piechler-Straße ab, von der aus dann noch die Otto-Jochum-Straße und die Albert-Greiner-Straße abgehen. Die Zufahrt zur Reichenberger Straße, mithin die Verbindung zum Rest der Welt, wird gekappt, während die Radhedonisten ihre sinnbefreiten Urständ' feiern. Eine Einmündung weiter vorn an der Joseph-Haas-Straße ist es ähnlich. Insgesamt dürften mehrere hundert Augsburger von der blödsinningen Streckenplanung betroffen sein. Zwangsläufig fragt man sich, auf dem Mist welchen Intelligenallergikers diese Streckenführung entstanden ist. Die ich übrigens im Vorjahr (damals noch nicht öffentlich) schon deutlich kritisiert habe. Damals hieß es, man werde sich um eine Streckenführung bemühen, die niemanden komplett abschneide. Das Ergebnis jetzt: Der Schwachsinn blieb unverändert.

So werden wir also am Samstagabend brav in unserem Viertel bleiben (müssen). Und hoffen, dass nichts passieren möge, was den Einsatz eines Kraftfahrzeugs erfordert. Enzo ist angewiesen, sich nichts einzufangen, was seinen Transport zum Tierarzt notwendig machen könnte. Denn zum Tragen ist er mittlerweile zu schwer. 

Wir hoffen derweil, dass sich vielleicht bis zum nächsten Jahr die Erkenntnis breit macht, dass man nicht ein ganzes Stadtviertel für das Vergnügen einer Gruppe von der Außenwelt absperren kann. Finde Trost bei Erich Kästner: "Vernunft muss sich jeder selber erwerben, die Dummheit pflanze sich gratis fort."