Urlaub, elektrisch

Verloren in der E-Wüste

Hurra! In La Morra am zentralen Parkplatz beim Markt steht jetzt eine Schnellladestation des Energieversorgers ENEL. Und sie funktioniert.
Hurra! In La Morra am zentralen Parkplatz beim Markt steht jetzt eine Schnellladestation des Energieversorgers ENEL. Und sie funktioniert.

„Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen", sagt der Volksmund, und gut – dann tue ich das mal. Wobei: Eigentlich wäre es mir lieber, ich hätte nichts zu erzählen. Zumindest nicht sowas. Schon allein deshalb, weil jetzt wieder die üblichen E-Mobilitäts-Bedenkenträger, Fortschrittsskeptiker und Diesel-Junkies aus ihren Löchern kriechen und ich aus Eimern mit Schadenfreude begossen werde... Aber fangen wir doch am Anfang an.

Jedes (Ruhestands-)Jahr im Frühling erwacht in mir eine Sucht – nach mehr Wärme, nach würzigerer Luft, nach sanften Landschaften, nach gutem Essen, Wein und Erholung – kurz: Ich will ins Piemont. Das war auch heuer nach zwei langweiligen Coronajahren nicht anders, eher noch stärker. Weswegen ich am Ostermontag Enzo und die Koffer ins E-Mobil packte und über die A96, den Pfändertunnel und die Schweiz La Morra ansteuerte.

Mein E-Auto hat mit vollen Akkus eine Reichweite von etwas über 400 Kilometern, ein Versprechen, das die Karre allerdings nur im Stadt-/Landstraßenmix hält. Auf der Autobahn werden etwas über 300 Kilometer daraus, weil bei konstanter Richtgeschwindigkeitsfahrt die Energierekuperation durch Bremsvorgänge weitgehend entfällt. Von Zuhause bis zum Feriendomizil La Cà d'Olga sind es 638 Kilometer, was für die Fahrt zwei Ladestopps bedeutet, während derer der Hund Hundegeschäfte erledigt und Herrchen Koffein- und Kalorienspiegel wieder einpegelt. Die Beine vertreten wir uns auch ein bisschen – und dann sind die Akkus von Auto, Mensch und Hund wieder aufgeladen und es kann weitergehen.

Diesmal lief es gut. Ein erster Ladestopp dauerte nur eine halbe Stunde, es herrschte wenig Verkehr, es gab kaum Baustellen und – dank Feiertag – so gut wie keine Lkw. 

Ich war ziemlich sicher, La Morra in der geplanten Zweit von etwa achteinhalb Stunden nach Abfahrt zu erreichen, als nahe Padua das Verhängnis seinen Lauf nahm. Und zwar in Form einer Verkehrsmeldung, die mir einige Kilometer voraus eine Vollsperrung der Autobahn nach einem Unfall mit zwölf Kilometern Rückstau signalisierte.

Nun ist mein E-Bolide ja nicht auf den Zylinderkopf gefallen, weswegen er mir eine Umleitungsempfehlung gab: über irgendeine „Statale“ und einige Provinzsträßchen um den Stau herum. Guten Vorschlägen folge ich gerne, und deshalb verließ ich die Autobahn und steuerte noch frohen Mutes Teil 2 der Reisekatastrophe an.

Es war in der Nähe von Vigevano (einem netten Städtchen, von dem ich noch nie gehört hatte und in das ich hoffentlich nie wieder kommen werde) meldete sich der Bordcomputer mit einer Fehlermeldung: Ich solle sofort anhalten. Und das war dann – fürs Protokoll: um ca. 18.30 Uhr – das vorläufige Ende der Reise.

Nun hat der moderne Automobilist ja eine Mobilitätsgarantie . Also: Hotline in Deutschland anrufen, wo ein netter Herr verspricht, der italienischen ADAC-Klon ACI zu Hilfe zu schicken. Das könne aber des Feiertags wegen bis zu zwei Stunden dauern. Tja, kein Problem, solange man in der freien Natur ist und die Sonne noch scheint: Man packt der Hund und geht erst mal Spazieren, verzehrt die mitgeführte Stulle, hört Radio und daddelt am Handy. Und dann ist die Sonne weg, die Temperaturen sinken – und vom ACI-Helfer noch immer keine Spur. Ich rufe erneut die Hotline an, die verspricht, noch einmal in Italien nachzuhaken, was sich gegen 21 Uhr in einem Anruf niederschlägt. Ein ebenso freundlicher wie begriffsstutziger Signore aus Mailand erklärt mir, man wisse gar nicht, wo ich sei. Ich erkläre es ihm. Ich gebe ihm GPS-Koordinaten durch. Er sagt, es komme gleich jemand. 

„Gleich“ ist ja nicht nur in Italien ein dehnbarer Begriff, dort aber ein ganz besonders dehnbarer. Was dazu führt, dass um ca. 23.15 Uhr das Handy wieder klingelt. Diesmal ist der Fahrer des Abschleppwagens dran: Er könne mich nicht finden. Ich beschreibe noch einmal detailliert meinen Standort. Er sagt, das habe mit dem, was er aus Mailand bekommen habe, nicht allzuviel zu tun. Er komme aber trotzdem dahin. Eine Viertelstunde später ist er da.

Den Fehler vor Ort beheben kann er nicht, daher lädt er das Auto auf und startet in Richtung der nächsten Nissan-Werkstatt. Die allerdings gibt es nicht mehr – Corona-Pleite. Der Abschlepper weiß aber Rat und steuert eine Auto-Elektrowerkstatt an, deren Besitzer er gut kennt. Der kann nach einem Check mit dem Diagnosecomputer und einem Griff in eine Ersatzteilkiste das Problem lösen. Kostenpunkt: 15 Euro für ein kleines Elektronikbauteil, das angeblich in jedem modernen Auto (auch Benziner oder Diesel) zu finden ist. Eigentlich, sagt der Mann, gingen die Dinger ja nie kaputt...

Bei Shakespeare würde an dieser Stelle der Erzählung nun der Satz stehen „All is well that ends well." Aber natürlich gebe ich mich mit so einem Ende nicht zufrieden. Denn vor die Weiterfahrt haben die Götter noch einen Ladevorgang gesetzt. Kurz vor Verlassen der Autobahn hatte ich schon eine Ladesäule im Visier gehabt, und nun – nach stundenlangem Warten mit Warnblinker, Standbeleuchtung, etwas gelegentlichem Heizen und einigen Rangierfahrten – ist der Ladestand unter die Zehn-Prozent-Marke gefallen. Auch hier weiß mein Abschleppfahrer Rat: In der Stadt gebe es eine Ladestation der ENEL. Die allerdings sei wegen eines Straßenfestes nicht anfahrbar. Er kenne aber zwei große Supermärkte einige Kilometer von hier, wo Kunden ihre Fahrzeuge laden können.

Ich mache mich – es ist mittlerweile deutlich nach Mitternacht – auf den Weg, verfahre mich natürlich, und komme schließlich gegen 1 Uhr morgens an das Ziel: Leider mag die Ladesäule keine meiner Kredit- oder Ladekarten akzeptieren. Also: App des Anbieters herunterladen, durch die Anmeldeprozedur klicken und warten auf eine Bestätigungs-SMS, die da kommen soll, aber nicht kommt. Was hingegen kommt, ist ein netter, aber unnachgiebiger Herr in Wachdienst-Uniform, der mich bittet, den Parkplatz zu verlassen. Denn der werde jetzt abgesperrt.

In etwa der gleichen Dramaturgie (nur ohne Wachmann) läuft der Ladeversuch am zweiten Supermarkt ab. Da es mittlerweile 2 Uhr morgens und das Straßenfest an ENEL-Station vermutlich längst beendet ist, fahre ich in Richtung Stadt zurück, begleitet von Akkustand-Warnmeldungen meines Autos. Zuerst ignoriere ich sie, dann aber überwiegt die Angst, mit leerem Akku mitten auf einer Kreuzung liegenzubleiben. Am Rande eines kleinen Quartiersparks in einem ruhigen Wohnviertel parke ich schließlich, schließe die Türen ab, klappe den Liegesitz zurück, decke Enzo auf der Rückbank zu und verbringe die Nacht im Auto.

Beim Erwachen um 5.30 Uhr präsentiert sich mir ein sonniger, neuer Tag – mit den alten Problemen, die da heißen: leerer Akku, Hotline, ACI. An der Hotline erklärt mir ein nicht übermäßig freundlicher Mitarbeiter in ostdeutschem Tonfall, an meiner Situation sei ich selbst schuld. Ich, allmählich trotz doppelter Betablockerdosis etwas genervt, sage ihm, dass mich das einen feuchten Kehricht interessiert. Ich hätte schließlich eine Mobilitätsgarantie abgeschlossen. Er geruht gnädig, mir den ACI schicken zu wollen. Der wiederum reagiert, wie er schon am Vortag reagierte – nämlich gar nicht. Ich warte.

Mangel an Schlaf hat ja oft eine seltsame geistige Klarheit zur Folge, und so fällt mir nach drei Stunden ein, dass mich in der Nacht ja der Abschlepp-Fahrer auf dem Handy angerufen hatte. Irgendwo im Gekröse meines Smartphones müsste also dessen Nummer abgespeichert sein, denke ich, und bete zu Gott, der Mann möge nicht mit unterdrückter Nummer angerufen haben. Hat er nicht. Ich erreiche ihn, schildere meine Lage und er sagt: „Kein Problem. Wo bist du? Ich hole Dich."

Zehn Minuten später ist er da, lädt mein Auto auf seinen Lkw und fährt mich zum Stützpunkt von La Carrozzauto, wo mir freundliche Menschen einen Kaffee und eine Starkstromsteckdose anbieten. Die erweist sich zwar als lang nicht so stark wie erhofft, lächerliche 220 Volt und 8 Ampere, aber die Akkulichtlein flimmern und der Ladestand steigt. Quälend langsam zwar, aber er steigt.

Als es Mittag wird und die Werkstatt erst mal schließt, laden mich Beschäftigte und Chef (die alle an Enzo einen Narren gefressen haben) ein, sie zum Mittagessen zu begleiten. Es werden lustige zwei Stunden, in denen die Italiener immer wieder betonen, sie würden sich für ihr Land schämen, wo vieles so schlecht funktioniere wie der ACI und viele so wenig hilfsbereit seien wie der Supermarkt-Wachmann. Und ich versichere ihnen, dass in Deutschland nichts, aber auch gar nichts besser laufe. Im Gegenteil.

Als die Mittagspause beendet ist und auch mein Akku hinreichend geladen ist, folgt dann ein emotionaler Abschied – mit Umarmungen, guten Wünschen, Leckereien für Enzo. Bezahlen für Hilfe und bezogenen Strom? Trotz massiven Drängens meinerseits nicht möglich. Im Gegenteil: Der Chef hat sogar noch mein Mittagessen bezahlt...

Die restlichen rund 200 Kilometer bis La Morra laufen dann problemlos, und beim Dahingleiten kann ich das Erlebte ordnen: Natürlich, so eine Panne und die widrigen Umstände braucht keiner. Aber die Begegnung mit so vielen hilfsbereiten und freundlichen Menschen war tatsächlich ein bereicherndes Erlebnis.

 

Fortsetzung folgt, allerdings nur bedingt: Schon nächste Woche geht es wieder elektrisch nach Italien, diesmal nach Meran. Und diesmal hoffentlich ohne Panne.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Andrea (Dienstag, 26 April 2022 20:46)

    Hallo, nette Geschichte, so im Nachhinein �
    Mein Mann und ich hatten ähnliches mit dem Pannendienst in Italien erlebt. Wollten eigentlich gerade vom Campingplatz abreisen, als unser eAuto den Dienst versagte. Zelt wieder aufgebaut und noch 'ne Nacht dort geschlafen. Am nächsten Tag wurde unser Auto geholt ohne uns mitzunehmen �. Haben uns dann von zwei Jung auf dem Campingplatz 110km zur Servicewerkstatt fahren lassen und dann wurde alles gut. Man hat doch bleibende Erinnerungen und irgendwie wäre es auch langweilig. Mit der Ladeinfrastruktur in Italien hatten wir auch so unsere Probleme. Durch den Campingplatz ging das aber zu händeln. Ich hoffe dieses Jahr geht's besser.
    Viele Grüße aus dem Vogtland