Landtagswahl

Es gibt was zu gewinnen. Wahlen vielleicht nicht mehr. Aber eventuell ein paar Wähler zurück.
Es gibt was zu gewinnen. Wahlen vielleicht nicht mehr. Aber eventuell ein paar Wähler zurück.

Der Tag danach

Irgendwie hatten es die Leute in Gespür, dass die Landtagswahl vom gestrigen Sonntag so eine Art Schicksalsentscheidung werden würde. So ist es ja nun auch gekommen. Vielen Politikern (und sogarganzen Parteien) schlug gestern die Schicksalsstunde. Ich hatte ja nicht gedacht, dass ich mich noch einmal kommentierend öffentlich zu einem Wahlausgang äußern würde. Aber was gestern im Bayernland passiert ist — dazu kann ich den Mund nicht halten.
Nun sind die Zeitungen und das Internet, die Rundfunk- und Fernsehsendungen voll von Kommentaren. Und von Floskeln. Von hilf- und ratlosen Erklärungsversuchen. Die von Leuten stammen, die mittlerweile näher am Geschehen sitzen als ich. Muss da ein pensionierter Schreiberling auch noch seinen Senf dazugeben? Vielleicht schon, und vielleicht deshalb, weil ich keine Rücksichten mehr zu nehmen habe.
Also: Das politische Gefüge im Bayernland ist wieder einmal durcheinandergewirbelt worden. Das ist jetzt nicht unbedingt etwas Neues. Gerade an den Rändern des etablierten politischen Spektrums haben sich immer wieder neue Kräfte formiert und zunächst Zulauf bekommen. 
Allerdings sind die meisten dieser Gruppierungen genauso schnell wieder vom politischen Horizont verschwunden wie sie aufgetaucht waren. Zu jeder Wahl ein neuer Hype — Liberale Demokraten, ÖDP, Republikaner, Piratenpartei, AfD... Interessanterweise eint sich bei Neuparteien oft das Personal, das andere, etablierte nicht haben wollten. Die Neuparteien heimsen ihren Auftakterfolg ein — „neu“ verfängt halt. In der Politik ebenso wie etwa in der Werbung, wo auch der älteste Käse mit dem Attribut „neu“ aufgehübscht wird.
Und dann beginnt der Alltag. 
Der entzaubert bekanntlich, nicht nur in Beziehungen. In der Politik läuft das so ab: Die Akteure müssen erkennen, dass nicht alle, die in einer Partei sind, auch die gleiche Meinung haben. Dass es Sachzwänge und Notwendigkeiten zum Kompromiss gibt. Und dass nicht jeder, der ein Mandat gewonnen hat, auch auf einen Posten befördert werden kann. Weil es nicht genug davon gibt, um alle persönlichen Begehrlichkeiten zu befriedigen. Und dann wird gestritten. Bis der Wähler dann merkt, dass die „Neuen“ auch nicht mehr taugen und bewegen als die „Alten“, vergeht meist weniger als eine Wahlperiode. Die politischen Nomaden ziehen weiter und suchen sich — was Neues.  Mit der AfD im aktuellen Fall lief es auch  nicht anders, und es wird weiter nicht anders laufen: Man schlägt sich, man verträgt sich — um das böse, justiziable P-Wort hier nicht zu gebrauchen.
Nichts Neues unter der Sonne also? Kann man so sehen. Immerhin sind die Anteile von rechts/links, ungeachtet der Verschiebungen innerhalb dieser Lager, annähernd gleich geblieben. Das Wahlergebnis vom Sonntag verdeutlicht trotzdem einige Entwicklungen, die es wert sind, betrachtet zu werden — hier mal nach Parteien geordnet:
Grüne: Die Grünen sind offenbar auf dem Weg zur Volkspartei. Merkwürdig eigentlich, wenn man ihre nach wie vor recht eingeschränkte Themenpalette betrachtet. Umweltschutz gepaart mit Fortschrittsfurcht und Reglementierungswahn, garniert mit ein bisschen Genderwahnwitz und Radlerromantik sprechen überraschend viele Menschen an, die Lösungen für ihre „first world problems“ suchen.
FDP: Hat sich zurückgemeldet im Bayernland. Einigen Wählern war wohl klar, dass ein bisschen mehr Liberalismus unserer zur zwanghaften politischen Korrektheit driftenden Gesellschaft ganz gut täte.
Freie Wähler: Sie hätten eigentlich noch mehr Potential als die erreichten 11,7 Prozent. Viele Wähler haben aber offenbar nicht nachvollziehen können, ob und wie „Frei“ und „Fraktion“ zusammengehen.
SPD: Das ist das eigentliche Drama dieser Wahl. Den Niedergang dieser einst stolzen Partei mitansehen zu müssen, sollte eigentlich tieftraurig machen. Stattdessen macht es, weil zu 100 Prozent vom amtierenden Personal selbst verschuldet, nur wütend. In acht der 30 Gemeinden des Landkreises Landsberg, in dem ich die letzten 20 Jahre als Journalist arbeitete, blieb die SPD am Sonntag unter der Fünf-Prozent-Marke! Mir ist noch gut in Erinnerung, wie im Augsburg der 1980-er Jahre der weitsichtige Oberbürgermeister Hans Breuer sein Programm „Wandel und Erneuerung“ präsentierte, mit dem er die SPD nach eigenen Worten „aus den Hinterzimmern“ herausholen und für ein breites, bürgerliches Publikum wählbar machen wollte. Letztlich fuhr er einen Pyrrhussieg ein.
In der SPD setzten sich, nicht nur in Augsburg, die Kräfte durch, die nach wie vor gegen die „Besserverdienenden“ zu Felde ziehen — nicht wähnend, dass das frühere SPD-Klientel längst zu Besserverdienern geworden ist und sich von der Sozialdemokratie abgewendet hat. Die verbliebenen Sozen machten aber munter weiter, immer auf der Suche nach der Lobby, die sie vertreten könnten. Ihre Adressaten findet man an Wahlsonntagen jedoch nicht an der Urne, sondern bei RTL vor dem „Bildungsfern-Sehen“. Ein Ausweg aus dieser Krise? Nicht in Sicht!
CSU: Nun gut, das Ergebnis vom Sonntag ist nicht die schlimmste Wählerklatsche in der Geschichte der Partei. Nur die Zweitschlimmste. Die schlimmste könnte erst noch kommen, wenn die Christsozialen nicht Grundsätzliches in ihrer Personalpolitik ändern. Natürlich war der Streit Seehofer/Söder ursächlich für die Verluste, die die absolute Mehrheit dahinschmelzen ließen. Ausschlaggebend war vermutlich noch nicht  einmal der (bekannte) Abscheu der Wähler vor Streitereien. Sondern eher die Tatsache, dass viele gar nicht wussten, wofür ein Söder denn steht — außer für den festen Willen, Seehofer wegzubeißen, um selbst dessen Platz einzunehmen. 
Die Wahlschlappe mag vorerst der Fluch der CSU sein. Sie könnte aber auch ihr Segen werden. Dann nämlich, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass Karrieristen nur sich selbst nach vorne bringen wollen, aber nie das Land oder den Staat, dem sie eigentlich dienen sollten. 
Wenn bei künftigen Nominierungen die Karrieristen-Warnlampe aufleuchtet und auch beachtet wird, dann bleibt der CSU vielleicht das Schicksal der Sozialdemokratie erspart. Vielleicht.

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