Pandemie (2)

Versuch macht kluch, oder: Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie. (Fotomontage: Dieter Mitulla)
Versuch macht kluch, oder: Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie. (Fotomontage: Dieter Mitulla)

Learning Corona

So, nun haben wir also das zweite Lockdownchen etwas gelockert, um alsbald in die dritte Auflage zu schlittern. Da ist es doch hilfreich, einmal ein paar Erkenntnisse aus dem vergangenen Jahr zusammenzufassen, für das die legendäre Queen-Charakterisierung „annus horribilis“ schon fast beschönigend wirkt. Was haben wir gelernt? Zehn (nicht immer ernstzunehmende) Thesen:

1 – In Deutschland leben ca. 80 Millionen Virologen

Gut, dass man in diesen Zeiten sowieso nicht mit Bus und Tram fährt, wenn man es denn vermeiden kann. Man wäre sonst gezwungen, unwillentlich die virologischen Erkenntnisse von (der hier schon einmal erwähnten) Cheyenne Maulbichler aus dem Mietshaus nebenan live zu genießen. Jeder weiß, welcher Impfstoff der beste ist, warum man sich impfen oder nicht impfen lassen muss, warum Masken Mist sind und dass Bill Gates... ach, lassen wir das.

2 – In Videokonferenzen ist kleidungsmäßig nur die obere Körperhälfte relevant

Lange Ausgangssperrentage haben dazu geführt, dass wir nicht nur das Nachmittags-Programmschema sämtlicher Fernsehsender auswendig können, sondern dass wir auch Internetkanäle wie YouTube leergeglotzt haben. Episch: Die Ausschnitte aus Business-Videokonferenzen, in denen die Teilnehmer vergaßen, dass sie sich nur „obenrum“ fürs virtuelle Meeting fein gemacht hatten. Und unten kam dann manchmal die Jogginghose ins Bild.Merke: Die Opfer solcher ungewollte Kameraschwenks hatten nicht nur die Kontrolle über ihr Leben, sondern auch die über ihre Webcam verloren. Danke, Karl Lagerfeld, für diesen Gag.

3 – Zoom ist keine Kneipe

In der Pandemie haben sich Konferenz-Apps wie Zoom, Microsoft Teams oder Google Hangouts zu wahren Rennern entwickelt.Nicht dass bei solchen Wichtig-Meetings der Erkenntnisgewinn größer wäre als bei herkömmlichen Treffen im geschäftlichen Kaum-Zeit-Kontinuum. Sie haben uns nur vor Augen geführt, wie sehr uns das Nach-Meeting-Get-Together (um im Jargon zu bleiben) an der Theke nebenan fehlt, bei dem wir in der Vor-Corona-Zeit vom Wichtigtuer-Sprech entspannten.

4 – Ab 21 Uhr mutiert der Hund zum Passierschein

Gassigehen mit Enzo war ja auch außerhalb der Ausgangssperrenzeiten rein rechtlich möglich, wenn man mal von der Tatsache absieht, dass Enzo ein fauler Hund ist, der ab 18 Uhr lieber seinen TV-Körbchenplatz bezieht. So ging uns ein von findigen Zeitgenossen ersonnenes Geschäftsmodell durch die Lappen: Das mietweise Überlassen des Hundes, um auch nach 21 Uhr noch vor die Türe zu dürfen.

5 – Ein Treffen ohne Jogginghose nennt man Termin

Viele Menschen haben im Lockdown die Erfahrung gemacht, dass es im Homeoffice auf vieles ankommt, aber nicht auf Kleidung. Das haben vor allem die Einzelhändler bemerkt, die auf Hemden und Anzügen, Kleidern und Blusen nicht nur wegen der erzwungenen Schließung ihrer Geschäfte sitzen blieben. Sondern auch, weil keiner sie braucht. Schick machte sich doch nur, wer zu einem realen Termin unterwegs war.

6 – 404 ist überall

Mit eine der schmerzlichsten Erkenntnisse aus dem Lockdown: Internetmäßig ist Deutschland abgehängt. Onlinekonferenzen und Mailflut haben dazu geführt, dass die Antwortzeiten bei Seitenaufrufen steil nach oben gingen, der Fehler 404 regelmäßig auch bei Seiten gemeldet wurde, die zweifelsfrei existieren, dass das heimische IPTV jeden zweiten Abend zur besten Sendezeit in die Knie ging. Und das in einer Großstadt; auf dem flachen Land ist es noch viel schlimmer. Man darf gespannt sein, ob sich auch nach Corona noch genügend Cerebralasketen finden werden, die gegen jede Entwicklung weg vom informationstechnischen  Drittweltstandard protestieren.

7 –Schnell geimpft werden ist Glückssache

...wenn man kein Rechtsanwalt ist. Wobei der eigentliche Skandal in dieser Augsburger Posse nicht der Fakt ist, dass ein paar offenbar waaaahnsinnig systemrelevante Juristen und Sekretärinnen es vor Kindergartenpersonal, Todkranken und wirklich Wichtigen geschafft haben, den erleichternden Pieks zu bekommen. Skandalös ist, wie die verantwortlichen Stellen mit der Causa umgehen. Führt direkt zu Punkt 8.

8 – Die Politik löst keine Probleme

Ja, schon gut, dieser Punkt klingt wie substanzloses Covidiotengeschimpfe. Aber die Erkenntnisse aus der Pandemie werden die politische Landschaft trotzdem durcheinanderwürfeln. Eine erste Kostprobe hat es bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz schon gegeben. Und diese Entwicklung wird sich fortsetzen, bis hinein in den kommunalen Bereich. Es steht zu befürchten, dass die etablierten Parteien abgestraft werden – egal, ob sie nun für Fehlentwicklungen verantwortlich sind oder nicht. Und Fehler gibt es weißgott genügend. Die millionenteure, aber dysfunktionale Corona-App, die nun eingestampft werden soll; das Impf-Anmeldeportal, das die Daten seiner Klienten mal eben schluckt (Ich selbst habe eher zufällig bemerkt, dass meine Zugehörigkeit zu zwei Risikogruppen aus dem System verschwunden war. Nach Korrektur bekam ich dann einen Termin); die Masken-Beschaffung, die ein paar politische Kriegsgewinnler zur Bereicherung nutzten; das dauerhafte Ignorieren des Versagens des Augsburger Gesundheitsreferenten und so weiter. Bleibt nur zu hoffen, dass all dies nicht dazu führt, politische Rundumversager nach vorne zu befördern, die sich zwar Alternative nennen, als solche aber ebenso wenig taugen wie für alles andere.

9 – Der Mensch ist dumm

Von Albert Einstein stammt der Satz: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher." Er war halt ein Genie, der Albert. Ein Genie, das in der Realität des Jahres 2021 jeden Tag Rechtfertigung für seinen Zweifel an der Vernunft der Leute erfährt. Kein Tag vergeht, an dem nicht Coronapartys stattfinden. Ohne Maske und Schutz natürlich. Und wie man eine Maske aufsetzt, scheinen viele nicht zu wissen. Die einen lassen die Nase frei, die anderen schieben sie unters Kinn, und einige ganz Schlaue liefen ganztägig mit Kippe oder Döner in der Hand herum, um der Maskenpflicht zu entgehen – bis auch die Ausnahmen Essen und Rauchen gestrichen wurden. Wenn Corona dann wenigstens nur diese Intelligenzbefreiten treffen würde – man könnte direkt von darwin'scher Auslese sprechen...

10 – Die Sprache lebt

Nach Erkenntnissen des Leibniz-Instituts für deutsche Sprache hat die Coronakrise rund 2000 Neologismen in die deutsche Sprache gespült. Meine Lieblings-Neuschöpfungen sind Wörter wie Impfneid oder Infodemie, anderen gehen nun bisher unbekannte Formulierungen wie Inzidenz, Übersterblichkeit oder Aluhut flüssig über die Lippen.

Ende gut, nix ist gut

Wenn es sonst noch eine Erkenntnis aus einem Jahr Corona gibt, dann diese: Die Seuche wird uns noch lange beschäftigen. Und man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass unsere Gesellschaft nach Corona eine andere sein wird als vorher. Klar: Die vollkommen Bescheuerten und Bekloppten dürfen jetzt erst mal an Mallorcas Stränden neben Sangría auch Virusvarianten inhalieren – und wenn sie zurückkommen, werden wir neben britischen und sonstigen Varianten halt auch nicht mit der Ballermann-Mutante zu kämpfen haben. Urlaubspläne? Ich persönlich habe sie für 2021 erst mal gestrichen. Mit würde schon reichen, wieder mal an einem Samstag die morschen Knochen in der Sauna wärmen zu können. Doch davon sind wir weit entfernt – trotz Impfkampagne. Corona und seine Folgen werden uns noch lange beschäftigen.

Fortsetzung folgt.

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