67 — und aus!
Das Traumwetter, das Enzo und mich gestern überrascht hat, war war wohl nur ein Intermezzo. Heute ist es schon wieder trübe, bedeckter Himmel, gerade mal 19 Grad, und gegen Abend soll der
Regenzurückkommen. Toll! Das gibt mir aber wenigstens Motivation, nach dem Morgenspaziergang mit Enzo (der heute auch etwas demotiviert scheint) ein paar Blogzeilen zu gestern loszuwerden.
Gestern war im Castello Falletti in Barolo als Teil der Barolo Open Week eine einzigartige Verkostung möglich. 123 Weine, geordnet nach den Untergebieten La Morra, Novello/Barolo und
Monforte/Castiglione Falletto/Serralunga/Groonzane/Diano, standen auf einem Rundkurs bereit, probiert, bewertet und verglichen zu werden.
Ich werde immer wieder gefragt: „Geht das eigentlich, so viele Weine in einem Zug zu verkosten?“ Die Antwort à la Radio Eriwan lautet: Im Prinzip ja! Enzo und ich konnten beobachten, wie ein
Herr, Italiener, Mittvierziger, Aufkäufer eines Weinhandelshauses, in eineinhalb Stunden alle — ALLE! — 123 Baroli durchkostet, zu jedem ein paar Notizen macht, Wasser und Brötchen verschmäht und
dann wieder verschwand. Ein französischer Sommelier, angereist mit Frau und Tochter, schafft es auch, hält sich dabei auch strikt an die Reihenfolge, die Cristiana Grimaldi, die Seele der
Enoteca, ausgetüftelt hat. Ich halte mich wacker, bin bei Nummer 41 noch in der Lage, eine Zwischenbilanz auf Facebook zu posten. Nach Wein Nummer 67 werfe ich die Papierserviette. Meine
Geschmacksnerven sind in Aufruhr, die Nuancen verschwinden... Was jetzt nicht am Alkohol liegt, denn ich habe keinen zu mir genommen. Bei solchen Brachialverkostungen lässt man den Wein nur im
Mund kreisen, spürt den Caudalien nach und spuckt den Wein dann aus. Sieht ein bisschen wüst aus, ist aber angesagt: Draußen parkt
schließlich das Auto...
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Weinen sind frappant. Ja, gut, es ist immer die Nebbiolotraube, aus der der Barolo gemacht
wird. Und er reift immer vier Jahre, bevor er in den Verkauf kommt, davon mindestens 18 Monate im Holz. Aber schon die Art der Fässer — großes Holzfass, kleines Barrique — und die Herkunft ihres Holzes — Frankreich, Slovenien, Amerika — generiert Unterschiede. Noch mehr das Terroir, also die Böden,
auf denen die Reben wachsen. Die sandigen Untergründe rund um La Morra erzeugen fruchtige Aromen und reduzierte Tannine. In Barolo selbst und Novello sorgt eine Mischung aus Sand- und Lehmböden
für weiche und harmonische Aromen. Im Rest des gesetzlich definierten Anbaugebiets sind Lehmböden vorherrschend und erzeugen einen eher rustikalen Wein von intensivem Geschmack und festen
Tanninen.
Zum Schluss kommt dann noch das Händchen des Winzers als Geschmacksfaktor hinzu. Ich gebe gerne zu, dass ich zu denen gehöre, die die Produkte der piemontesischen Winzerinnen besonders schätzen.
Frauen wie Nadia Curto, Sara Vezza, Chiara Boschis, Silvia Altare sind zwar (noch) in der Minderzahl an der Spitze der Produzenten,
machen aber ohne Zweifel die besten Weine.
Trinkreif sind übrigens die wenigsten der vorgestellten Baroli. Fast alle werden in ein, zwei Jahren erst die volle Power entfalten, einige noch später oder noch viel später. Jetzt einen 2014er
Barolo öffnen? Kann man machen. Muss man aber nicht!
Degustationen von diesem Umfang sind anstrengend. Sich auf die Nuancen und Unterschiede zu konzentrieren ist sowas wie Arbeit. Nach 67 Weinen, die ich in meine persönliche Verkostungsreihenfolge
gebracht habe, hat der Spaß ein Loch bekommen. Noch ein kurzer Einkaufsabstecher mit Hund — Enzo spielt wieder Star. Danach ruhen wir uns aus.
Die Suche nach einem Restaurant wird zu einer Rundfahrt in und um La Morra. Einige haben montags und dienstags zu, es ist ja noch nicht Saison. Andere sind komplett ausreserviert, Touristen sind
ja zur Genüge da. Enzo und ich landen schlussendlich in der Osteria del vignaiolo in Santa Maria. Das Lokal hatte mal seine Tiefen, ist jetzt
aber wieder empfehlenswert. Wir bekommen ein Tischchen draußen, Enzo gleich mal ein Schüsselchen mit Wasser und reichlich Streicheleinheiten von den Servicedamen. Naja, zu mir sind sie auch ganz
nett... Man muss sich allerdings als Frenchie-Herrchen daran gewöhnen, in der Wahrnehmung auf seinen Hund reduziert zu werden. Das bringt mir dann auch eine nette Tischunterhaltung mit einem
amerikanischen Ehepaar auf Europatrip ein. „Have you had dinner at more e macine yesterday?“, fragt die Dame unversehens. Als ich bejahe, muss sie lachen: „I noticed your dog.“
Die Zeit vergeht schnell bei insalata russa, vitello tonnato, carne cruda mit Trüffel, tajarin mit salsiccia, stracotto di vitello und kleinen Leckereien zum caffè ristretto. Und eine halbe
Flasche Dolcetto ist auch noch drin. Man kann also wiederkommen im Herbst.
Fortsetzung folgt.
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