Schöner Wohnen

Die Frühlingssonne genießen — war leider nur ein kurzes Intermezzo.
Die Frühlingssonne genießen — war leider nur ein kurzes Intermezzo.

Die Stadt neu erkunden

Wer sich einen Hund zulegt, der erwirbt gleichzeitig eine Entrittskarte in eine neue Welt. Ja gut, man kennt plötzlich Läden von innen, um die man bisher einen Bogen machte. Man bookmarkt Websites, nach denen man früher nicht einmal gesucht hätte. Und man lernt Leute kennen, denen man vorher im Vorbeigehen nicht einmal zugenickt hätte. Das wirkt sogar im Mikrokosmos des eigenen Stadtviertels.
Seit Enzo und ich rund um unseren Wohnsitz gemeinsam Gassi gehen, hat sich der Blick auf mein Umfeld, in dem ich immerhin schon über 20 Jahre (gerne) lebe, deutlich verändert. 
Das hat natürlich auch etwas mit den Veränderungen zu tun, die der (Vor-)Ruhestand bringt. Die Jahreskilometerleistung meines Autos ist von 30.000 auf nun vielleicht 5000 Kilometer gesunken. Die zu Fuß oder mit dem Rad oder im Nahverkehr zurückgelegten Strecken sind dagegen deutlich länger geworden. In den Vor-Enzo-Monaten lagen die Wege aber noch auf den Straßen, von A nach B, von Start zu Ziel. Nebenstraßen, Hauptstraßen, Radwege vielleicht noch.
Mit Enzo lerne ich jetzt Fußwege kennen, von deren Existenz ich bisher nicht einmal wusste. Erstaunlich, wie viele dieser Wege früher  unbeachtet blieben — weil sie handtuchbreit zwischen Häuserzeilen verlaufen und nur für die paar Anwohner gemacht zu sein scheinen. Sind sie aber nicht. Gerade im Textilviertel führt ein Weg zum anderen und alle zusammen direttissima ans Ziel. Kürzer, schneller und vor allem unterhaltsamer als entlang der Straßen.
An den Wegen tobt das Leben. Und mit dem Hund an der Seite bekommen bei jeder Begegnung die Fellnasen Namen und die sie begleitenden Menschen Gesichter und Geschichten. Da ist die Dame, die ihren vierbeinigen Wischmopp nur leihweise von der urlaubenden Tochter hat. Da ist der ältere Mann mit vermutlich osteuropäischen Wurzeln, der von einem Riesentrumm Köter an der Leine über den Weg gezogen wird. Er hatte einen niedlichen Welpen gekauft — einen mit Wachstumspotential offenbar, was ihm der Verkäufer verschwiegen hatte. Und da ist das Mädchen mit der kleinen Töle, die jeden Vorbeikommenden mit Inbrunst bekläfft. Enzo zeigt Würde und ignoriert beide.
An den Wegen, die man sich mit dem Hund erschließt, liegen auch  Dinge, die man im Vorbeifahren vermutlich nicht (oder erst mit viel Verspätung) bemerkt hätte. Das neue, kleine Café Valeria zum Beispiel — ein Bar mit einem Espresso wie in Italien, mit freundlichen Gesprächen am Tresen und immer bereitem Prosecco in der großen, silbernen Eisschale auf der Theke. Man trifft Nachbarn dort, frühere Kollegen wie Sarah und Marcus oder (in Enzos Fall) andere Hunde. So ein Café hatte gefehlt im neuen Textilviertel, und Enzo und ich sind uns einig, dass man uns im Sommer dort sehr oft antreffen wird. An einem der kleinen Tische draußen, oder an der Theke drinnen, wenn es mal regnet.
Schade, dass die breite Schleifenstraße unser Viertel von der Altstadt trennt. Man muss die Verkehrsachse überqueren und an der Citygalerie vorbei laufen (Enzo mag nicht so gerne hinein, ist ihm zu hektisch), um wieder in beschauliche Gassen zu kommen. Die kleinen Läden, die schönen Häusergiebel, die Einblicke in Gärten und Höfe nehme ich auch erst wieder richtig wahr, seit ich mit Hund unterwegs bin.
Zum Abschluss steht dann doch noch etwas Action in der Fußgängerzone und am Königsplatz auf dem Gassi-Programm. Zuviel Idylle hält halt auch der Hund nicht aus... Aber müde wird er, und deshalb steht ein Experiment an: Nach Hause nehmen wir die Straßenbahn.
Zugegeben: Als ich das erste Mal nach vielen automobilen Jahren wieder eine Tram bestieg, war es schon mit etwas zwiespältigen Gefühlen. Aber mittlerweile habe ich ja  eines dieser tollen 9-Uhr-Abos, mit dem ich sogar Enzo ohne Extrakosten mitnehmen kann. Aber will der auch mit? Ich bin etwas skeptisch, denn zumindest vor vorbeifahrenden Straßenbahnen hatte Enzo bisher eindeutig — Angst.
Bei unserer Tram-Premiere jedoch wird der Hund zum Held. Er steigt ohne zu zögern ein. Nimmt seinen Sitzplatz (am Boden) ein und die Huldigungen der anderen Fahrgäste entgegen. Fast sieht es so aus, als würde er am Ziel nur widerwillig aussteigen.
Das Tram-Experiment ist also geglückt und kann wiederholt werden. Fortsetzung folgt.

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Günter Oberhuber (Montag, 19 März 2018 10:37)

    Diese Zeilen find ich super. Kann mich noch sehr gut an die Zeit mit meinem Benni erinnern...

  • #2

    Livia (Mittwoch, 21 März 2018 17:42)

    fast hätte ich auch Lust auf einen (kleinen) Hund. Und auf Ruhestand...